Die erste Tankstelle

Peter Thomas

 

Dem Wirt Johann Verhoolen wurde am 29. Juli 1893 durch den Kreisausschuss zu Kleve die Erlaubnis erteilt, in seinem Wohnhaus Nr. 84 zu Hasselt eine Schankwirtschaft zu betreiben. Im Jahre 1907 hatte er einen Erweiterungsbau vorgenommen und auch für diesen – neu angebauten Saal – die Erlaubnis erhalten, eine Schankwirtschaft zu betreiben. Die Gastwirtschaft lag an der heutigen Kalkarer Straße (Bundesstraße 57).

Im Jahre 1927, Johann Verhoolen war bereits verstorben und seine Witwe, nunmehr 66 Jahre alt, hatte sich aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen und die Leitung der Schankwirtschaft ihrem 31-jährigen Sohn übergeben, standen weitere Veränderungen an.

Als Eigentümerin des Grundstückes beantragte Maria Verhoolen erneut eine Erweiterung der Gaststätte (diesmal sollte zusätzlich eine Kegelbahn angebaut werden) – und zudem die Erlaubnis zum Betrieb einer Tankstelle.

Wie kam die Witwe Verhoolen bzw. ihr Sohn auf die Idee, in Hasselt eine Tankstelle einzurichten? Sahen sie diese als sinnvolle Ergänzung zu ihrer Gaststätte? Oder waren sie bereits so weitblickend, dass sie die kommende Entwicklung voraussahen?

Alles das wissen wir nicht. Aber wir können unterstellen, dass sie geschäftstüchtig waren und mit dem Tankstellenpartner jemanden erwählt hatten, der sich in der Branche gut auskannte. Auch die Anlage, die hier errichtet werden sollte, entsprach dem neuesten Stand der Technik.

Tankstellen – als Nachfolgeanbieter der Apotheken – gab es in Deutschland zwar schon in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts, jedoch konnte dort das Benzin nur von sog. Fasspumpen aus Fässern in beliebige Behälter gepumpt und daraus die Autos betankt werden. Erst 1927 kamen die Tankwarte in Deutschland in den Genuss, das Benzin per Füllrüssel direkt in die Autos pumpen zu können (20 Jahre brauchte diese Erfindung, um von den USA nach Hamburg zu gelangen).

Am 24.11.1928 veröffentlichte die Hamburger Illustrirte Zeitung in ihrer Ausgabe Nr. 47 die nachfolgende Aufstellung der weltweiten PKW-Bestände (Die Gedanken zur Wirkung der Werbung habe ich bewusst an der Statistik belassen).

Nach diesem Bild bestand noch ein großer Nachholbedarf in preußischen Ländern; ein Zuwachs war demnach programmiert. Aber wie war die Entwicklung im Amt Till?

Wir erinnern uns: im Jahr 1906 gab es im Amt Till nur das Auto des Barons van Steengracht und das Motorrad seines Rentmeisters. Wie war die Entwicklung bis 1927?

Da es keine öffentlichen Statistiken gab, man aber Grundlagen haben musste, auf welchen eine Entscheidung für oder gegen eine Tankstelle zu fällen waren, kam die „Amerikanische Petroleum Anlagen GmbH“ aus Neuss auf die Idee, einfach die Bürgermeister der betreffenden Ämter zu befragen. So erhielt Bürgermeister Oedenkoven bereits im Jahr 1925 nebenstehende Anfrage.

Da man 1925 noch nichts vom Datenschutz gehört hatte, und der Bürgermeister Bargeld klimpern hörte, wurde die erbetene Liste erstellt und dafür 5 Reichsmark in Rechnung gestellt. In dieser Aufstellung waren 36 Verbraucher aufgeführt mit vollem Namen, genauer Wohnanschrift und der Angabe über Personenkraftwagen, Lkws, Motorräder und Benzolmotoren.

Nach dieser Aufstellung gab es 1925 im Amt Till nach wie vor nur 1 PKW (Witwe des Peter Boisselier zu Moyland), 2 Lastkraftwagen, 24 Motorräder und 5 Benzolmotoren.

Allein auf dieser Verbraucherbasis eine Tankstelle einzurichten hätte ich als sehr gewagt empfunden – aber vielleicht gab es in Kleve und Kalkar noch keine Konkurrenz, dann hätte man in Hasselt eine Alleinstellung gehabt – und dazu gab es in dieser Zeit ja noch die generelle Aufbruchstimmung in Deutschland (die Goldenen Zwanziger) im Bereich der Technik und Kultur. Die Entwicklung war nicht mehr aufzuhalten.

Das Aussehen und die Technik der Autos war atemberaubend schnell verbessert worden (rechts eine Gegenüberstellung von Benz Auto­mobilen der 1880 und 1890er Jahre und eines Kleinwagens aus dem Jahr 1929).

Das allererste alltagstaugliche Auto, der Patent Motorwagen Nr. 1 war nur mit 0,75 PS ausgestattet, wurde über Fahrradketten angetrieben, hatte keine Fußbremse und keinen Rückwärtsgang, er hatte eine Höchstgeschwindigkeit von rd. 16 km/h und verbrauchte 10 l Benzin auf 100 km.

Dagegen lesen sich die Ausstattungsmerkmale dieses Hanomag 3/16 Cabriolets (Kleinwagen aus dem Jahr 1929) schon deutlich moderner: 16 PS, 75 km schnell, 5fache Ballonbereifung, Vierradbremse, hydraulische Stoßdämpfer, Scheibenwischer, Hupe, Sonnenblende, 2 Richtungsanzeiger, indirekte Armaturenbeleuchtung, Tachometer, Biluxbeleuchtung von Osram u.s.w. und dazu auch noch reichliches Werkzeug. Sein Verbrauch lag bei 7 l/100 km. Der Kaufpreis lag bei 2.800 Reichsmark ab Werk, der Monatslohn eines Arbeiters bei rd. 200 Reichsmark.

Die für die Tankstellenerrichtung notwendigen Unterlagen wurden dem Amt Till eingereicht, welches die Unterlagen an den Landrat und das Gewerbeaufsichtsamt in Wesel weiterleitete. Nachdem letztendlich auch die „Gesellschaft zur Ueberwachung von Dampfkesseln“ (Vorgänger des TÜV) zu Mönchengladbach ihr O.K. gegeben hatte, konnte mit dem Bau begonnen werden.

Links sehen Sie den Lageplan der Gaststätte mit der geplanten Tankstelle (Anlage zum Bauantrag). Laut endgültigem Plan sah die Zapfanlage (zu Beginn war ein Kolbenpumpensystem mit einem Lagertank von 7.000 l vorgesehen), so aus, wie es die technische Zeichnung rechts zeigt.

Wie lange und in welchem Umfang die Tankstelle betrieben wurde, ist dem Archiv nicht zu entnehmen. Sicher ist nur, dass das Gebäude, das gleichzeitig auch als Vereinshaus dem damaligen SGE Hasselt diente, am 16.10.1980 durch ein Feuer komplett vernichtet wurde.

Aber die Erinnerung ist in der Gemeinde noch gegenwärtig. Am 13.07.2010 benannte der Rat der Gemeinde auf Vorschlag seines Mitgliedes Verhaaren eine Straße im Neubaugebiet Schneppenbaum – Kirchweg - „Verhoolenweg“.

Nachbemerkung: Weitere Archiv-Recherchen nach Fertigstellung dieses Artikels ergaben, dass nicht nur in Hasselt eine weitblickende Geschäftsfrau die Erfordernisse der Zukunft umgesetzt hatte, sondern im gleichen Jahr auch eine "Öffentliche Tankstelle" vor der Restauration des Karl Eberhard (heute: Post Moyland) in Betrieb genommen wurde. Das Grundstück gehörte der Ritterguts­besitzerin Witwe Peter Heinrich Boisselier in Moyland Nr. 42.

 

Quelle: Gemeindearchiv Bedburg-Hau, BT 615, Z 043 - Z 068

 

Links:

https://de.wikipedia.org/wiki/Ford_Modell_A_(1928%E2%80%931931), 30.10.2017

https://de.wikipedia.org/wiki/Maybach_Zeppelin_DS_8, 30.10.2017

https://de.wikipedia.org/wiki/Adler_Standard_6, 30.10.2017

https://de.wikipedia.org/wiki/Tankstelle, 20.12.2017

https://de.wikipedia.org/wiki/Benz_Patent-Motorwagen_Nummer_1, 20.12.2017

https://www.was-war-wann.de/historische_werte/monatslohn.html, 22.12.2017

 

Bildnachweis:
Ernst Hannen: Von Appeldorn bis Zyfflich. Die Vergangenheit vor dem Vergessen bewahren. Horb am Neckar 2000, S. 15.