Die Hebammen der Bürgermeisterei Till 1818–1925

Peter Thomas

 

Dass Frauen bei einer Geburt oder nach einer Geburt im Kindbett sterben, war noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit verbreitet und wurde damals als ein normales Lebensrisiko eingestuft. Dass manchmal auch Hebammen durch Unkenntnis, Pfusch und Nachlässigkeit erheblich dazu beitrugen – auch das war nicht unbekannt.

Was aber im Oktober 1906 im Hause des Fabrikarbeiters Lambert Welberts in Qualburg geschah, verärgerte den Kreisarzt in Kleve sehr und machte ihn wütend.

Er verstand die Welt nicht mehr. Man war doch nicht mehr im Mittelalter! Sollten die Bemühungen des Preußisches Staates zur Ausbildung der Hebammen denn vollkommen vergeblich gewesen sein?

Was war geschehen? Der behandelnde Arzt von Frau Welberts (Dr. Voss aus Kleve) hatte auf dem Totenschein angegeben, dass diese am 22. Oktober 1906 an Lungenentzündung verstorben sei. Bei den anschließenden Besprechungen stellte sich aber heraus, dass Frau Welberts nicht nur an einer Lungenentzündung litt, sondern zusätzlich auch an Kindbettfieber und einer Zwerchfellentzündung.

Es erhärtete sich der Verdacht, dass Frau Welberts bei der Geburt und im Wochenbett von ihrer Hebamme, Frau ter Kindern, Kleve-Kellen, vernachlässigt worden war.

Nach Prüfung der Protokolle forderte im Frühling 1907 der Kreisarzt Dr. Paffrath den Bürgermeister zu Griethausen auf, die Hebamme streng zu bestrafen, denn, so schrieb er wörtlich:

»die Hebamme hat sich folgendermaßen verfehlt:

  • Sie hat die Frau Welberts in ihren Kleidern entbunden und in ihren Kleidern bis zum anderen Tage liegen lassen.
  • Sie hat das Tagebuch gefälscht, indem sie Temperaturmessungen eingetragen hat, welche sie entweder gar nicht gemacht oder zu anderer Zeit als morgens gemacht habe. Auch hat sie Frau Welberts als gesund geblieben eingetragen.
  • Sie hat mir den Tod der Wöchnerin nicht angezeigt.

Für mich ist es trotz der Angabe des ärztlichen Totenscheins zweifellos, daß Frau Welberts an einer Wochenbetterkrankung gestorben ist.

Ich bedaure nur, daß so lange Zeit nach dem Tode der Frau Welberts vergangen ist, daß ein strafrechtliches Einschreiten gegen die Hebamme keine Erfolge führen würde.«

Ein gewisses Verständnis für die Hebamme ist dem weiteren Text zu entnehmen, da Frau ter Kindern im Jahr 1906 über 190 Geburten begleitet hatte und niemand sie dabei unterstützte, denn erst auf den dringenden Appell des Kreisarztes hin will sich der Bürgermeister nach einer weiteren Hebamme umsehen. Einfacher war es, die Hebamme mit einer Buße von 20 Mark zu bestrafen, wie er es schon 3 Tage später dem Kreisarzt mitteilte.

Bei dem folgenden Bericht sollten Sie folgendes beachten: Alle Informationen wurden Gemeindeprotokollen und Verwaltungsakten entnommen, d. h. dass nur auffällige, nicht den Regeln entsprechende Vorgänge niedergeschrieben wurden.

Diejenigen Hebammen, die ihren Beruf reibungslos ausübten, wurden – bis auf die Zustimmung des Gemeinderates zur Einstellung – nicht weiter erwähnt. An dieser Stelle kann ihnen nur für ihre großartigen Leistungen, die sie vor allem im Winter erbracht haben, gedankt werden. Ohne diesen Einsatz wären viele Mitbürger, die aus der ehemaligen Bürgermeisterei Till stammen, nicht unter uns.

Seit wann es öffentlich bestätigte Hebammen im Amtsbezirk Till gab, ist nicht bekannt. Die erste Erwähnung einer Hebamme für die Bürgermeisterei Till erfolgte im Amtsblatt der Regierung zu Kleve im Jahre 1818.

Seit wann es öffentlich bestätigte Hebammen im Amtsbezirk Till gab, ist nicht bekannt. Die erste Erwähnung einer Hebamme für die Bürger­meisterei Till erfolgte im Amtsblatt der Regierung zu Kleve im Jahre 1818.

Auch sie musste, bevor sie praktizieren durfte, die Hebammen-Schule zu Köln besuchen. Diese Schule (gegründet um 1816) war ausschließlich für die Regierungs-Bezirke Köln und Düsseldorf zuständig und unterrichtete jährlich zeitgleich je 10 Schülerinnen der einzelnen Bezirke. Die Schülerinnen mussten mindestens 18, jedoch höchstens 30 Jahre alt sein. Neben den Schülerinnen wurden pro Regierungsbezirk 50 arme Schwangere aufgenommen und unentgeltlich verpflegt. In einer Verordnung vom 16.4.1818 wurde – in bis ins Einzelne gehende – Paragraphen das Leben in dieser Schule reglementiert. So kann man noch heute nachlesen, welches Frühstück, Mittag- und Abendessen den Kursteilnehmern vor 200 Jahren vorgesetzt wurde.

Zusätzlich zum richtigen Alter der Anwärterinnen mussten diese noch folgende Unterlagen vorlegen:

1) Ein Zeugnis des Seelsorgers über ihren Vor- und Zunamen, Alter und Geburtsort, Religion, Stand oder Gewerbe des Ehemanns (oder ob eventuell Witwe, unverheiratet, Zahl der geborenen Kinder) sowie über ihren bisherigen Lebenswandel und sittliche Führung.

2) Ein Zeugnis des betreffenden Kreisarztes über ihre körperliche und geistige Fähigkeit, so wie darüber, ob und welche Sprache sie lesen und schreiben kann.

(Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde bei uns häufig die niederländische Sprache verwendet.)

3) Ein Zeugnis des Ortsvorstandes oder der landrätlichen Behörde über ihre künftige Bestimmung (Kreis- und Wohnort) sowie darüber, ob und woher sie Unterstützung für die Ausbildung erhält.

Wurde zum Ende der Ausbildung die Prüfung bestanden, erfolgte ein Vorschlag zur Approbation und Anstellung. Weiterhin erhielten alle Schülerinnen kostenlos das Hebammenbuch und einen Behälter, in dem die 10 wichtigsten Utensilien für ihren Beruf enthalten waren. Der Kasten mit Inhalt wurde Eigentum der Gemeinde, die die Hebamme als erstes einstellte.

Wir wissen heute nicht mehr, wer Frau de Lange als Hebamme folgte. Aus den Gemeinderatsprotokollen geht hierüber nichts hervor. Erst im Jahre 1855 findet Johanna Maria Nachtigal aus Louisendorf Erwähnung (Ausbildung 1852). Sie musste erfahren, dass ein geschlossener Vertrag einzuhalten ist, insbesondere, wenn der Besuch der Hebammenschule von der Gemeinde finanziell unterstützt wurde. Im September 1855 wollte sie von Louisendorf nach Pfalzdorf verziehen, aber da die 923 Einwohner von Louisendorf dann ohne Hebamme verblieben wären und kein Ersatz oder anderweitige Hilfe in Sicht war (die Hebamme Kerst aus Schneppenbaum war bereits 70 Jahre alt und die Hebamme aus Pfalzdorf musste bis Louisendorf eine Wegestrecke von 1 ½ Stunden zurücklegen), pochte der Gemeinderat auf den abgeschlossenen Vertrag, und Frau Nachtigal musste bis zum Ablauf der vereinbarten Fünfjahresfrist in Louisendorf wohnen bleiben und dort ihren Beruf ausüben.

1854 tauchte ein neues Problem auf. Die Hebamme Kerst aus Schneppenbaum war verstorben, und die für Hasselt tätige Hebamme war nach Amerika ausgewandert. So war auch dieser Gemeindeverband mit 1.669 Seelen ohne Betreuung. Die Anfrage von Maria van Heek aus Hasselt kam daher sehr gelegen. Der Gemeinderat beschloss, die Interessentin nach bestandener Prüfung als Hebamme anzunehmen. Nähere Informationen liegen leider nicht vor.

1862, die Gemeinde Louisendorf zählte nur noch 801 Einwohner, ergab sich erneut die Möglichkeit zur Anstellung einer neuen Hebamme. Maria Catharina Merten aus Louisendorf wurde bei der Hebammenschule in Köln angemeldet. Ihre persönlichen Daten sind bekannt: 1841–1916, verheiratet, vier Kinder. Ob sie die Prüfung geschafft hat und anschließend angestellt wurde, wissen wir jedoch nicht.

Dann, 25 Jahre später, ein Paukenschlag. Die Bezirkshebamme Witwe Küppers geb. Borgmann zu Hasselt wurde wegen wiederholter Dienstvernachlässigungen mit Verfügung der Königlichen Regierung vom 17. April 1877 aus ihrer dienstlichen Stellung entlassen. Die vakante Stelle musste auf Druck des Landrates öffentlich ausgeschrieben werden. Drei Interessentinnen gaben ihre Anmeldungen ab. Zwei davon wurden jedoch schon bald wieder zurückgezogen. Es verblieb die Bewerbung der Ehefrau Franz van de Flierdt, geb. Maria van Heck zu Sterkrade. Sie hatte ihre Ausbildung bereits 1855 beendet und konnte die Approbationsurkunde der Regierung zu Düsseldorf vom 16. Oktober 1855 vorlegen.

Aus Mangel an Auswahlmöglichkeiten wurde Frau van de Flierdt angestellt. Die Kündigungsfrist sollte sechs Monate betragen; ihr wurden 105 Mark jährlich für die Betreuung der Armen zugebilligt. Als Wohnsitz wurde Hasselt vorgegeben und zwar Rosendal oder ein Kilometer im Umkreis. Als Umzugskosten-Entschädigung wurden einmalig 45 Mark bewilligt. Lange hatte Frau van de Flierdt ihre Stellung nicht inne, denn im Januar 1884 wurde ihr bereits seitens des Amtes gekündigt.

Catharina Ophart aus Brienen war die nächste, die sich 1885 um die Bezirks-Hebammenstelle bewarb. Ihre Grundbedingung war ein jährliches Gehalt von 150 Mark. Dieses wurde genehmigt und außerdem noch beschlossen, dass Frau Ophart die Kosten der Beschaffung der erforderlichen Geräte (nebst Hebammenbuch) erstattet werden.

Zwei Jahre später, 1887, war schon wieder alles vorbei. Frau Ophart hatte gekündigt, und neue Bewerberinnen konnte der Bürgermeister nicht anwerben. Er verhandelte mit den Hebammen der umliegenden Städte und vereinbarte, dass

1) die Hebamme Margarete Oenings zu Kalkar den Dienst in der Gemeinde Till-Moyland für jährlich 75 Mark und 2) die Hebamme Ehefrau Wilhelm Einig zu Kleve diesen Dienst in der Gemeinde Schneppenbaum, Hasselt, Qualburg und Riswick für jährlich 75 Mark übernehmen sollten.

Wunsch der Gemeindevertretung war jedoch, dass die Bürgermeisterei Till wieder eine eigene Bezirkshebamme anstellen sollte. Man war sogar bereit, das Gehalt auf

200 M zu erhöhen und, wenn das nicht reichen sollte, sogar bis auf 250 Mark zu gehen.

Mitte 1887 bewarb sich Margaretha Gürshoff aus Styrum um die Stelle als Bezirks-Hebamme. Sie hatte drei Kinder und sich in der Gemeinde Styrum gut bewährt. Als Grundgehalt verlangte sie 200 Mark jährlich. Die Kosten der in der Armenpraxis verwendeten Desinfektionsmittel sowie die notwendigen Instrumente und Geräte sollten aus der Bürgermeisterei Kasse gezahlt werden.

Trotz Zusage erschien Frau Gürshoff nicht zum Dienst. Eine Rückfrage ergab, dass ihr letztendlich das Gehalt von 200 Mark zu gering erschien, das wäre doch für eine Hebamme zu wenig. Der Bürgermeister vereinbarte daher unter Bezugnahme auf den bestehenden Bürgermeistereiratsbeschluss ein Gehalt von 250 Mark, und Frau Gürshoff sagte einen Dienstbeginn zum 20.10.1887 zu. Außerdem wurde ihr zugesichert, dass ein Wohnsitz in Qualburg bis zum 1.5.1888 akzeptiert würde.

Bereits im März 1888 musste der Bürgermeister die betrübliche Erfahrung machen, dass die Hebamme Gürshoff den Dienst in der Bürgermeisterei Till aufgegeben und fortgezogen sei, weil sie in einem Zeitraum von drei Monaten nur vier Geburten gehabt habe, da die übrigen Geburten von den anderen Hebammen in der Umgebung geleitet worden seien. Dass man davon nicht leben kann, ist verständlich, aber anscheinend kam Frau Gürshoff bei den Einheimischen nicht an.

Der Bürgermeistereirat beschloss daher: »Da eine Bezirks-Hebamme für Till nicht nothwendig ist, so nehmen wir von der Anstellung einer solchen für die Zukunft ganz Abstand.«

Wenn man damals der Meinung war, dass damit auch das leidige Problem der Kosten ausgestanden war, sah man sich getäuscht, denn die Nachbargemeinden wollten das Amt Till in dessen Sparbemühungen nicht unterstützen, denn arm waren sie alle.

So musste sich 1899 nach einem Bericht des Kreisarztes Dr. Paffrath Landrat Eich mit dem Thema auseinandersetzen. Der Landrat bestand darauf, dass dringend eine Bezirks-Hebamme für die Gemeinden Schneppenbaum und Louisendorf mit Sitz in Pfalzdorf angestellt werden muss. Außerdem seien die Hebammen von Pfalzdorf für ihre Unterstützung zahlungsunfähiger Wöchnerinnen in den Gemeinden Schneppenbaum und Louisendorf angemessen zu entschädigen.

Der Bürgermeister von Pfalzdorf beantragte unter Berücksichtigung der Einwohnerzahl (Pfalzdorf 2.634, Schneppenbaum 1.548 und Louisendorf 711) eine Entschädigung von Pfalzdorf in Höhe von 165 M, von Schneppenbaum eine von

90 M und von Louisendorf 45 M für die Hebammen. Gesamtsumme: 300 M.

Bürgermeister armer Landgemeinden können jedoch rechnen, und schlau sind sie meist obendrein, denn Bürgermeister Heckmann rechnete vor, dass von Pfalzdorf 2.634, von Schneppenbaum 400 und von Louisendorf nur 200 Seelen in Betracht kommen, da die übrigen Einwohner des Amtes Till sich der Hebammen zu Kalkar und Kleve bedienen, so dass Pfalzdorf 213 M und die Bürgermeisterei Till für Schneppenbaum und Louisendorf nur 87 M Entschädigung zu entrichten hätte. Weiterhin erklärte er schließlich, dass die Anstellung einer Hebamme für die Bürgermeisterei Till unzweckmäßig sei, da ungeachtet eines Gehaltes von 250 M eine solche wegen der Hebammen zu Kleve und Kalkar keine Zukunft haben würde.

Die Gemeindevertretung der Bürgermeisterei Till war da ganz anderer Ansicht. Er wollte unbedingt eine eigene Bezirkshebamme für das Amt Till haben, und war bereit, dafür auch 300 Mark im Jahr auszugeben.

Ab dem Jahr 1906 treffen wir in der Bürgermeisterei auf die Bezirkshebamme Katharina Strößner. Wann und unter welchen Bedingungen sie eingestellt wurde, geht aus den Akten nicht hervor, aber 1904 wohnte sie bereits in Schneppenbaum.

Im Umfeld der Hebammen hatten sich drastische Änderungen ergeben. So mussten ältere Hebammen Nachkurse in den Lehranstalten der Provinz besuchen. Der Kreisarzt bestimmte die Reihenfolge. Außerdem sollte folgende Bestimmung in Kraft treten: »Der Bezirkshebamme steht innerhalb ihres Bezirks für jede Entbindung die taxmäßige Gebühr auch dann zu, wenn sie nicht zugezogen wird. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn Geburtshilfe seitens einer anderen im Besitz der Genehmigung befindlichen Hebamme oder seitens eines Arztes geleistet worden oder wenn die rechtzeitige Hinzuziehung einer Hebamme oder eines Arztes nicht möglich gewesen ist.«

Damit waren für Frau Strößner die außerhalb der Bürgermeisterei lebenden leidigen Konkurrentinnen nicht mehr relevant. Sie konnte mit relativ stabilen Einnahmen rechnen. Dafür bekam sich aber schon im Jahre 1907 ein großes Problem, denn das Haus des Fabrikarbeiters Gerhard Auclair zu Schneppenbaum Nr. 52 I, in dem sie ihre Wohnung hatte, wurde von der Provinzialverwaltung für Zwecke der neu zu erbauenden Klinik angekauft; dem bisherigen Eigentümer und der Mieterin wurde zum 1.11.1907 gekündigt.

Eine neue Wohnung für die Hebamme gerade in Schneppenbaum in der Nähe von Rosendal zu finden, wo sie vertragsmäßig wohnen sollte, dürfte schwergefallen bis unmöglich gewesen sein. Weder die Provinzial-Verwaltung noch der Bürgermeister konnten ihr eine solche vermitteln. Man bot der Hebamme eine Gehaltserhöhung an, wenn sie sich selbst um eine neue Wohnung bemühen würde und so kam es, dass Frau Strößner zwar beim Käter van Ackeren in dessen neu erbauten Wohnhaus bei Bedburg, eine Übergangs-Wohnung fand, aber sich –  da ein anderer Wohnsitz vertraglich mit ihr vereinbart war – im Jahre 1909 auf der „Alte Bahn“ ein neues Haus erbaute. Vielleicht hatte sich auch der Kreisarzt eingeschaltet, denn Frau Strößner hatte sich am 22. August 1907 bitterlich bei ihm beschwert: »Sie werden entschuldigen, daß ich schon wieder was habe; ich kann nämlich mit unserm Herrn Bürgermeister nicht fertig werden, ich hilt mir damals aus [?], eine gute Wohnung zu sorgen [unter] 30 Mark; dann sorgte ich selbst dafür; das wurde auch bewilligt, jetzt muß ich aber wieder aus der Wohnung, da die Anstalt das Haus verwenden muß. Der Gemeinderat hat nun, falls ich mir selbst eine Wohnung besorgen will, 50 Mark bewilligt, nun habe ich mir eine Wohnung gesucht und meine Schwester bei mich genommen, die ich [doch] auch Lohn geben muß, jetzt will der Herr Bürgermeister mir nicht zahlen.«

Diese Angelegenheit wurde zwar bereinigt, aber nicht ohne dass der Bürgermeister doch noch einen Vorteil aus der Vertragsergänzung zog, denn in der Vereinbarung heißt es, dass die Gehaltszulage zurückgezahlt werden müsse, falls die Hebamme vor Ablauf von 5 Jahren vom 1. Oktober 1907 ab gerechnet kündigen sollte.

Wenn Sie sich nun fragen: Wie konnte sich Frau Strößner mit dem geringen Einkommen ein neues Haus bauen, so gibt hierüber ein Schreiben des Bürgermeisters vom 23.1.1909 Auskunft: »Die hiesige Bezirkshebamme ist mit einem Einkommen von rd. 1.050 M jährlich zur Steuer veranlagt, wovon 350 M auf das Gehalt derselben entfallen. Dieselbe gibt jedoch an ein Einkommen von etwa 1.200 M aus dem Hebammenberufe jährlich zu haben. Ferner erklärt sie im Jahre 1908 90 Geburten und sodann noch 3 Fehlgeburten gehoben zu haben. Darunter ist keine Geburt gewesen, für welche sie keine Bezahlung erhielt und etwa 5 – 6 Geburten waren darunter, für welche eine Bezahlung von unter 10 M gegeben wurde.« (Anmerkung: Lehrer wurden zu dieser Zeit mit rund 1.300 M besoldet).

So ganz traute der Bürgermeister seiner Bezirkshebamme nicht mehr, denn als ein Jahr später eine junge Frau aus Qualburg ihr Interesse an einer Ausbildung zur Hebamme äußerte und die Informationen, die er erhielt, alle positiv waren, entschloss er sich am 5.3.1908 Kontakt zum Landeshauptmann (Regierungspräsidenten) aufzunehmen, um der jungen Frau eine Ausbildung zur Hebamme zu ermöglichen.

Anfang April kam dann die Bestätigung, dass Frau Peters als Kandidatin für den nächsten Kursus vorgemerkt worden sei. Der Landeshauptmann wies aber ausdrücklich auf mögliche Probleme hin, denn er teilt dem Bürgermeister seine Erfahrungen der letzten Jahre mit: »Bei den Vorprüfungen haben seither stets vielfache Zurückweisungen wegen ungenügender Schulbildung stattfinden müssen. Es dürfte daher geboten sein, die Kandidatin zu veranlassen, auf Erweiterung ihrer Schulkenntnisse, namentlich im Schreiben, Lesen und in Wiedergabe des Gelesenen nötigenfalls durch Privatunterricht bei einem Lehrer der Heimat bedacht zu sein.«

Am 18. Mai 1908 erhält Frau Peters die Einladung zur Vorprüfung bei der Hebammenlehranstalt in Wuppertal-Elberfeld. Sie wird darin aufgefordert: »[…] Außer den sonstigen Kleidungsstücken sind mindestens 6 weiße Hemden und dies Schreiben mitzubringen. Der Kursus dauert 9 Monate. Die Ausbildungskosten betragen 600 M und sind sofort nach der Aufnahme an die Anstaltskasse einzuzahlen. Die Annahme zur Ausbildung hängt von dem Prüfungsresultat und der Dringlichkeit der Anträge ab. Von der bestandenen Prüfung können Sie ein Recht auf Aufnahme nicht herleiten.«

Etwa drei Wochen nach abgelegter Prüfung kommt endlich der ersehnte Bescheid, der jedoch nicht so, wie erhofft ausfällt, denn der Landeshauptmann schreibt am 5.6.1908 an Frau Peters kurz und knapp: »Anliegend erhalten Sie die zwecks Aufnahme in meinen Hebammenlehrkursus vorgelegten Zeugnisse zurück. Sie sind zur Aufnahme in eine Provinzialhebammenlehranstalt nicht geeignet und können weiter nicht berücksichtigt werden.«

Abschrecken ließ sich Bürgermeister Oedenkoven durch dieses Schreiben jedoch nicht. Nach Rücksprache mit dem Landrat und dem Kreisarzt richtete er am 27.6.1908 folgende Bitte an den Regierungspräsidenten in Düsseldorf:

»Die Ehefrau des Fabrikschusters Wilhelm Peters, Anna geb. Gietemann zu Qualburg hatte sich im März des Jahres, weil sie beabsichtigte, sich dem Hebammenberufe zu widmen, die Bitte vorgetragen, für sie den Antrag bei dem Herrn Landeshauptmann der Rheinprovinz auf Zulassung zu einer Hebammenlehranstalt zwecks ihrer Ausbildung als Hebamme zu stellen und den Antrag zu befürworten.

Dieser Bitte wurde diesseits bereitwilligst willfahrt einerseits wegen des vorhandenen dringenden Bedürfnisses zur Ausbildung einer Hebamme für den hiesigen Bezirk, andererseits wegen der Herkunft der Antragstellerin aus durchaus achtbarer Familie und insbesondere auch wegen des persönlichen guten Rufes, dessen sich dieselbe in der Gemeinde erfreut. Vor wenigen Jahren hatte die Anstellung einer geeigneten Person als Bezirkshebamme im hiesigen Bezirk große Schwierigkeiten bereitet. Es hatten sich auf die öffentliche Ausschreibung der Stelle wegen der großen Ausdehnung des Bezirks, seiner im Winter schlechten Wegeverhältnisse, seines rein ländlichen Charakters und der weitzerstreuten Einzelwohnhäuser nur wenige und fast sämtlich ungeeignete Personen gemeldet. Eine geeignete Person konnte erst gewonnen werden, nachdem das von der hiesigen Bürgermeisterei Till zu zahlende Gehalt auf 300 M jährlich festgestellt worden war. Jetzt erhält die Bezirkshebamme sogar 350 M und beabsichtigt dabei dennoch ihre Stellung hier demnächst aufzugeben.

Das der hiesigen Bezirkshebamme gewährte Gehalt ist das Höchste im ganzen Kreise Cleve, das nächsthöchste erhalten die Hebammen der Stadt Goch im Betrage von nur 200 M jährlich. Das von der Stadt Cleve ihren Hebammen gewährte Gehalt ist noch geringer. Es besteht aber eine unumgängliche Notwendigkeit, für den hiesigen Bezirk eine Hebamme anzustellen.

Als nun die Ehefrau Peters hier, wie erwähnt, vorstellig wurde, war das umso mehr zu begrüßen, als dieselbe nicht nur die besten Zeugnisse vom Ortspfarrer, Kreisarzt und der Ortsbehördlichkeit über sittlichen, körperlichen und Familieneigenschaften ausgestellt erhalten hatte, sondern namentlich der hiesigen Gegend entstammte und hier ansässig ist. Dazu kommt noch, daß sie katholischer Konfession, anders wie die gegenwärtige Bezirkshebamme, ist und als solche auch der hiesigen überwiegend katholischen Bevölkerung genehm sein dürfte, obwohl die Tätigkeit der bisherigen Hebamme zu irgendwelchen Anschuldigungen durchaus keinen Anlaß bot.

So schien durch die Bewerbung der Peters einer zukünftigen großen Schwierigkeit von vornehinein vorgebeugt zu sein. Die Peters wurde als Hebammenkandidatin notiert und zur Vorprüfung einberufen. Diese hat sie jedoch leider nicht bestanden, da wohl ihre Schulkenntnisse nicht als genügend anerkannt wurden.

Es geht nun die hiesige Bitte dahin, bei dem Herrn Landeshauptmann der Rheinprovinz geneigtest erwirken zu wollen, daß die Ehefrau Peters dennoch zur Ausbildung als Hebamme möchte zugelassen werden, weil hinsichtlich aller übrigen persönlichen Eigenschaften und in Berücksichtigung der hiesigen besonders schwierigen Verhältnisse bezüglich der Gewinnung einer geeigneten Hebamme, sobald nicht wieder wird eine so geeignete Person als Hebamme für den hiesigen Bezirk gefunden werden könne, weil gerade die Ehefrau Peters, die auch äußerlich den denkbar besten Eindruck macht. Zu einer Bewerbung für den hiesigen rein ländlichen Bezirk werden sich jedenfalls Hebammen, die wegen ihrer besseren Schulbildung zur Ausbildung gelangt sind, wohl schwerlich bereitfinden lassen, eben weil sie wegen ihrer besseren Schulbildung Anspruch auf Stellen mit günstigeren Wohnungs-, Wege- und Entfernungsverhältnissen machen zu können glauben werden. – Die der Peters ausgestellten vorerwähnten guten Zeugnisse folgen anbei.«

Über den Landrat wird der Bürgermeister darüber informiert, dass ausnahmsweise eine erneute Aufnahmeprüfung stattfinden könne, aber gleichzeitig geben der Landeshauptmann und der Landrat eindringlich vor, dass Frau Peters, um diese Prüfung bestehen zu können, ihre Deutsch- und Rechtschreibkenntnisse intensiv vertiefen müsse. Der Bürgermeister teilt ihr das am 11.9.1908 mit: »Der Herr Landeshauptmann der Rheinprovinz hat sich bereit erklärt, Sie nochmals zur Ausbildung als Hebamme in die Provinzial-Hebammenlehranstalt zu Elberfeld einzuberufen. Es empfiehlt sich jedoch, daß Sie bis zum Beginn des nächsten Kursus, welcher im November des Jahres stattfindet, Ihre Kenntnisse in der Rechtschreibung und in der deutschen Sprache durch Unterrichtsstunden bei einem Volksschullehrer ergänzen, damit eine nochmalige Zurückweisung ausgeschlossen bleibt.«

Frau Peters überlegt einen Monat und erscheint dann auf der Amtsverwaltung. Dort gibt sie am 10.10.1908 zu Protokoll: »Leider kann ich an dem im November des Jahres in Elberfeld stattfindenden Hebammenlehrkursus nicht teilnehmen, da ich die Kosten im Falle des Nichtbestehens der Aufnahmeprüfung nicht nochmals bezahlen will und kann. Außerdem bin ich auch nicht stark genug, um später diesen Beruf erfüllen zu können; augenblicklich befinde ich mich in ärztlicher Behandlung, deren Dauer nach einiger Zeit erst [bemerkt] wird. Auch lassen meine häuslichen Verhältnisse es jetzt nicht mehr zu, daß ich von Hause auf solange Zeit fortgehe.«

Das war's mit einer neuen Hebamme und so gingen die Jahre dahin bis 1916.

Da erhielt Bürgermeister Oedenkoven im Oktober ein Schreiben, mit dem er schon lange gerechnet hatte. Frau Strößner schrieb: »Krankheitshalber möchte ich die Bezirksstelle am 1. Oktober 16 bis 1. April 1917 kündigen (…).«

Erst kurz vor Beendigung der Tätigkeit von Frau Strößner konnte der Bürgermeister eine neue Bezirkshebamme einstellen. Am 27.3.1917 wurde endlich der neue Arbeitsvertrag mit Frau Schneider geschlossen und Frau Strößner durfte ihren wohlverdienten Ruhestand im Saarland genießen.

Durfte Sie? Nein, da kannte sie den Bürgermeister schlecht, denn bei der Übernahme der Hebammenstelle durch Frau Schneider wurde festgestellt: »Der ihr übergebene Instrumentenkasten war gänzlich verwahrlost.« Außerdem fehlten einige Instrumente, die neu beschafft werden mussten. Die Kosten hierzu betrugen 71,10 Mark, die der Bürgermeister wiederhaben wollte. Es dauerte zwar zwei Jahre, bis er den Betrag nach massiven Drohungen – auch mit Hinweis auf Anwälte und Gerichte – wieder in seiner Kasse hatte, aber letztendlich hatte er gesiegt.

Über die neue Hebamme, Frau Schneider, liegen nur wenige Unterlagen vor. Im Oktober 1920 wurde ihr in einigen Fällen Verstöße gegen die Dienstordnung und falsche Behandlungen vorgeworfen, worauf ihr die nötigen Vorhaltungen durch den Kreisarzt Dr. Paffrath gemacht wurden.

Eine letzte Erwähnung der Bezirkshebamme Schneider erfolgte in einem Schreiben des Bürgermeisters an den Landrat vom 16.09.1925: »Die Frauen aus den Ortschaften Louisendorf, Moyland und Till bedienen sich meist der Hebammen aus Calcar, die der Ortschaften Riswick und Qualburg überwiegend der Hebammen aus Kellen und Cleve, während nur die Frauen aus der Ortschaft Schneppenbaum und meist auch aus Hasselt sich der bisherigen Bezirkshebamme Schneider bedienen. Hiernach scheint also vorerst auch gar nicht so sehr ein Bedürfnis zu einer Niederlassung einer Hebamme in hiesiger Bürgermeisterei zu bestehen.«

 

Quellen

Gemeindearchiv Bedburg-Hau: BT 702, BT 705
Protokollbücher der Bürgermeisterei Till: BT P01 (1846-1850), BT P03 (1874-1912), BT P04 (1912-1928)
Protokollbücher der Gemeinde Louisendorf: BT P 13 (1851-1874), BT P 14 (1874-1911)